Dienstag, Dezember 13, 2005

Segen und Fluch von Plausibilitätsstrukturen

Ich lese gerade das schon etwas ältere Buch "Auf den Spuren der Engel" von dem Soziologen Peter L. Berger. Es ist eine Erkenntnis der Wissenssoziologie, dass du nur so lange deine Vorstellung von Wirklichkeit als verlässlich ansiehst, wie dir dein Umfeld diese Annahmen sichert und stützt. Dein Weltverständnis ist also von der Kontinuität deines Umfelds abhängig. Das nennt man eine "Plausibilitätsstruktur". Wenn diese aus irgendwelchen Gründen (z.B. Umzug) nicht mehr gegeben ist, dann erschüttert das dein gesamtes Weltbild.
Gerade, wenn du zu einer gesellschaftlichen Gruppe gehörst, "deren Weltanschauung sich in charakteristischen Zügen von dem unterscheidet, was in ihrer Gesellschaft sonst als Gewissheit gilt" (kognitive Minderheit, S.25), ist es absolut notwendig, dass diese Gruppe eine starke Gemeinschaft bildet, die eine Stützfunktion für die gemeinsame Weltanschauung innehat.
Unser Glaube fordert uns in vielen Punkten heraus, eine Sicht der Wirklichkeit zu vertreten, die nicht dem gesellschaftlichen Konsens entspricht. In unserer Gesellschaft sind wir eine "kognitive Minderheit". Wir müssen uns deswegen bewusst sein, dass das Umfeld in dem wir uns aufhalten (d.h. die Gemeinde, die Bewegung) und die Menschen mit denen wir im stützenden Austausch über unseren Glauben sind (Geschwister, Lehrer, (christliche) Literatur) für uns notwendig sind, um unseres Glauben in der Welt zu bewahren.
Allerdings können sie uns auch ein Weltbild stabilisieren, das wir nur aufgrund seiner "Plausibilitätsstruktur" für wahr halten. Solche "dogmatischen Systeme" können verhindern, dass wir uns frei und offen mit neuen Gedanken auseinandersetzen. Menschen, die unser Sicht der Wriklichkeit nicht teilen, bedeuten dann eine Gefahr für unser System, weil sie die Weltanschauung in Frage stellen, die wir innerhalb unserer überlebensnotwendigen Enklaven alle teilen. Das ein System eng oder überkommen ist, kann im System keiner sehen, denn es ist ja für jeden plausibel und dadurch, dass es den Glauben stützt und stärkt auch "gut".
Wir leben alle in solchen Systemen und sind auf sie angewiesen. Sicher haben viele bereits erlebt, dass Umzüge oder Gemeindewechsel manchmal ganze Revolutionen in unserer Weltsicht auslösen können. Ich möchte dir aus meiner Erfahrung des letzten Jahres (dem Umzug aus der Großstadt aufs Land) Mut machen, mal über deine "Plausibilitätsstrukturen" nachzudenken. Hab den Mut dich mal wieder mit Menschen auseinanderzusetzen, für die vielleicht das Gegenteil deiner Weltanschauung plausibel ist. Vielleicht kann dir ein Systemcheck helfen, frischen Wind in deine Gehirnwindungen zu bekommen und aus zu engen Denkstrukturen auszubrechen, um Jesus wieder ganz neu kennen zu lernen.

7 Comments:

Blogger Katja said...

Das sind definitiv sehr interessante Gedanken. Ein erster Check des Systems könnte sein, in welcher Ferne oder Nähe sich diese Menschen befinden, mit denen auseinanderzusetzen es sich gilt.

9:37 PM  
Blogger mesii said...

AMEN...Du singst mein Lied!
grüße aus Benz-town
mesii

10:16 PM  
Blogger Norbert said...

Plausibilitätsstrukturen gelten insofern, wie meine Persönlichkeit fähig ist, sich mal schnell mal langsam an Gegebenes anzupassen. Die Systemische Seelsorge knackt ja eben dies PlauStruks - was immer wieder notwendig ist. Da geb ich dir völlig recht. Zumal wir beide eh grad ähnliches durchmachen - du: Stadt auf Land...ich: Land in die Stadt (und was für eine!!!) aaaah.
Danke für die Anregung, ich werde brüten. Auf diesem Weg scho mal: Gesegnete Weihnachten euch da oben in der Ferne!

10:26 AM  
Anonymous Anonym said...

genau damit hab ich mich in letzter zeit konfrontiert gefühlt...ich hab keine lust mehr auf frommes gelulle, scheinheiliges lächeln und kopfzerbrechen machen über das christsein anderer leute (ist der jetzt christ oder mmh ah vielleicht doch net...). seine denksysteme sollte man trotz des kraftaufwandes immer wieder hinterfragen und gegebenfalls den mut aufbringen, diese zu verändern.

2:33 PM  
Blogger Norbert said...

eben und dann sind wir bei der Frage nach der Offenbarung. Denn aus Bezugpunkt von außen ( so hat es zumindest Dr.Luther immer und immer wieder betont - also ein "extra nos") ist nur das Heil, das uns von AUSSEN zugesprochen werden muss. Dass man dazu aber das außen nach innen holt, bleibt dabei unsausgesprochen. Es bleibt die Frage nach der Offenbarung: die ja NUR von außen kommen kann. Und bevor sich ein System wirklich mit einem anderen auseinandersetzt über inhaltliche Fragen, muss erst geklärt sein, woher es seine Offenbarung bezüglich eben dieser Fragen nimmt... Etz wirds spannend!

5:02 PM  
Blogger Petra said...

Liebe Daggi,
stammen die Gedanken hier aus dem von Dir zitierten Buch? Denn wenn ja, dann wäre das sehr hilfreich für meine Diss...

5:06 PM  
Blogger Trinity said...

@Petra: Ja, die stammen aus dem Buch! Schön, deinen Namen hier mal wieder zu finden ;o)

8:09 PM  

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