Sonntag, Februar 05, 2006

Unbequeme Wahrheit

Zum 100. Geburtstag von Dietrich Bonhoeffer

Ich frage mich manchmal, ob ich ihn hätte kennenlernen wollen, den Pastor Bonhoeffer. Nachdem ich Vieles von ihm und über ihn gelesen habe, ist in meinem Kopf das Bild eines sehr unbequemen Zeitgenossen entstanden, dem es offensichtlich keiner recht machen konnte. Ein strenger Mann muss er gewesen sein, der viel von sich verlangte, aber auch viel von anderen. Gut Gemeintes war ihm meist zu wenig.
Ich versuche mich hineinzuversetzen in diese Zeit, über die wir gerne aus unserer Sicherheit heraus schnell und kompetent urteilen und die doch so unvorstellbar bleibt. Versuche mich zu sehen. Wo würde ich stehen im Kirchenkampf? Welche Seite würde ich wählen?
Allein das Bekenntnis zur Barmer Erklärung war ein Wagnis mit dem Risiko, sein Leben zu verlieren. Hätte ich mich auf die Seite der Bekennenden Kirche gestellt?
Und wenn ich den Mut dazu aufgebracht hätte, wie wäre mir dann der Theologe aus den eigenen Reihen vorgekommen, der sagt, das ist alles zu wenig? Der sinngemäß fordert: Kirche darf nicht nicht zum Selbstzweck werden. Kirche darf sich nicht allein um ihre Erhaltung kümmern. Es gibt auch andere Gründe zu sterben, als nur das Bekenntnis zu Christus.
"Kirche ist nur Kirche, wenn sie für andere da ist."
Wie wären mir Bonhoeffers Forderungen vorgekommen in dieser Zeit? Wahrscheinlich unerfüllbar. Wahrscheinlich hätte ich mich tierisch aufgeregt über diesen ewigen Nörgler, den ewigen Quertreiber. Wahrscheilich hätte ich ihm vorgeworfen, er gefährde die Sache, weil er den gemeinsamen Nenner in Frage stellt.
Heute wissen wir, er hatte Recht. Es ist leicht für uns, ihn zu verehren und über die Menschen, die Kompromisse gemacht haben, den Stab zu brechen.

Aber wie gehen wir heute mit Menschen in unseren Reihen um, die sind wie er? Sind sie nicht für uns genauso Außenseiter, wie er damals für seine Kirche? Treiben wir sie nicht genauso dazu, sich außerhalb unserer für sie zu engen Kirchenmauern zu positionieren, weil sie unser kleines Bekenntnis angreifen, unsere gemeinsame "Sache" gefährden? Wer hört den heutigen Quertreibern zu, den Unbequemen, denen man es scheinbar nie recht machen kann? Woher wollen wir wissen, ob man nicht in sechzig Jahren sie verehrt und über uns den Stab bricht?
Und wie gehen wir heute mit Bonhoeffer um? Bürsten wir ihn glatt? Benutzen wir seine Worte als einen Steinruch als Beleg für unsere eigenen Lieblingsthesen?
Bonhoeffers Werk ist für mich in zwei Richtungen eine Herausforderung. Es hinterfragt meine Haltung zu denen, die mich mit ihrer Kritik über mein Maß herausfordern. Und er bleibt ein unbequemer Zeitgenosse, dessen Forderungen auch heute noch treffen und die sich nicht schönreden lassen. Kein ach so schön traurig gesungenes "Von Guten Mächten" kann darüber hinwegtäuschen, dass die Kirche, die Bonhoeffer wollte, immer noch in weiter Ferne liegt, obwohl wir sie immer dringender brauchen.

7 Comments:

Anonymous Anonym said...

hallo daggi ... dein aktueller artikel wirft fragen auf, die ich mir nur allzu bekannt vorkommen. ich les grad ein buch ueber die Belagerung Sarajevos durch Serbische Militaers (92-95) und da ich ja grad in dieser Stadt lebe ist die Frage, ob ich hier geblieben waere um fuer das zu kaempfen, woran ich glaube sehr greifbar.

Andererseits denke ich, dass diese Frage nach dem "Was haette ich getan" sich aucn jetzt und immer wieder neu stellt. Vielleicht bin ich grad nicht unmittelbar bedroht, aber so viele andere Menschen kaempfen JETZT grad um ihr Leben, sei es in Kriegen oder humanitaeren Noeten. Diese Geschehnisse stellen mir eben auch die Frage, "auf welcher Seite ich stehe" und ob ich bereit bin Gewohntes und Bequemes aufzugeben um dagegen anzutreten.

Ob ich damals den Mut gehabt haette gegen das fasch. Regime aufzubegehren werd ich nie wissen, aber das ich heute gegen die Schrecklichkeiten der Welt angehen will und werde, das weiss ich.

8:59 PM  
Blogger Trinity said...

hallo stan, schön deinen namen mal wieder hier zu finden. Stimmt: "Was hätte ich getan?" ist doch immer nur bedingt zu beantworten. Es geht wirklich nicht um die großen Dinge sondern darum, das zu tun, was heute möglich ist. Bonhoeffer nennt das "in der vollen Diesseitigkeit des Lebens glauben lernen". Eben nicht flüchten, sondern das Jetzt als Chance zu ergreifen mit Christus mitten in dieser Welt für andere zu leiden!

10:22 PM  
Blogger HoSnoopy said...

Ich denke, ich hätte mir (schonungslos) angehört, was dieser Quertreiber (mir) zu sagen hätte.
Was ich damit gemacht hätte ist wieder eine andere Sache.
Vielleicht kann man das mit ein paar Königen aus dem Buch der Könige vergleichen? Gott warnte (durch Propheten) und es gab im Grunde 2 Reaktionen: Die einen Könige steckten sich ihre Finger in die Ohren und machten "lalalalala" und die Augen zu, die anderen taten wirklich Buße.
Wir haben, denke ich, dieselbe Chance.
sofx

9:41 AM  
Anonymous Anonym said...

@daggi: danke fuer die blumen... ich schau hier wirklich oefter rein, nur war es eben schon laengere zeit eher ruhig ;)

das thema das du in diesem artikel anschneidest beruehrt mich ziemlich sehr und ich weiss von mir, wie stark mich eine derartige frage beschaeftigen kann, ohne je beantwortet zu werden. was ich im vorherigen kommentar beschrieben habe ist sowas wie mein (momentanes) fazit zu dieser ueberlegung... hmm, ob es praxistauglich ist, muss ich ohnehin jeden tag neu beweisen.

7:13 PM  
Anonymous Anonym said...

Hi Daggi!

Ich hab vor ca. einem Jahr Bonhoeffers Nachfolge gelesen und seine Sätze haben mich ähnlich beunruhigt.
Da kommt jemand in meine kleine Welt und erzählt was von strengen Gehorsam und kompromissloser Nachfolge, vom tun des Richtigen ohne Rücksicht auf Selbstverlust.
Das, muss ich gestehen, pisst mich schon ziemlich an. Der Bonhoeffer hängt die Latte ziemlich hoch, aber mit recht.
Sicher kann man jetzt sagen, dass das ja auch die Zeit für entschiedenes Handeln war und viele fragen sich, wie Du, ob Sie den Mut gehabt hätten. Ich frage mich seit dem regelmäßig warum mir jetzt der Mut fehlt. Es gibt soviel was jetzt grade passiert. LG Sabine

12:23 PM  
Anonymous Anonym said...

Hallo Daggi, vielen Dank für diesen saucoolen Text. Unabhängig davon ist es das nächste Shirt was bei Freakstyle rauskommt. Vorne das Konterfei unseres Bruders und hinten "dem Rad in die Speichen fallen......! Nicht nur in diktatorischen Systemen eine unerlässliche Notwendigkeit, auch in demokratischen die nur geringfügig besser sind, aber meilenweit von Gottes Festlegung entfernt. Für einen König!!!!

11:54 PM  
Blogger shadowjumper said...

Als einer der unseren Bruder gerade erst aus der Ferne kennengelernt hat, stelle ich ihn mir (noch?) anders vor, wenn ich angeregt von deinen Zeilen an eine reale Begegnung denke. Ich denke einfach mal, das seine Zeilen ihn schärfer zeichnen als seine Worte. Sind es doch oft auch Briefe, an die engsten Vertrauten, die uns heute als Vorlage dienen. Irgendwie stelle ich ihn mir zumindest am Ende, einfach als Menschenfreund vor, dessen Ausstrahlung und Nähe mann sich nicht entziehen kann....
Okay, gewonnen, idealistischer Träumer! Schwärme noch zu viel! und doch hoffe ich das was drän wäre, und grüble mehr darüber was seine oder solch eine Ausstrahlung, im Knast mit mir gemacht hätte...

1:51 AM  

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