Mittwoch, Juni 01, 2005

Henri J.M. Nouwen (1932 - 1996)

An keinem Leben konnte ich persönlicher teilnehmen als an dem von Henri Nouwen. Ich habe seine veröffentlichten Tagebücher lesen können und so konnte ich ihn Schritt für Schritt auf seiner Lebensreise begleiten. Gerade in einer Zeit, in der ich durch einen Burn Out gezwungen war, mich völlig aus der Geschäftigkeit meines Lebens zurückzuziehen und mich mit den hohen Kosten verpasster Ruhezeiten auseinanderzusetzen, wurde er mir ein geistiger Freund. Ich hab mich in vielen seiner Fragen wiederfinden können. So schrieb er: "Welche Kraft verkehrte meine Berufung, Zeuge der Liebe Gottes zu sein in einen ermüdenden Job? (...) Vielleicht redete ich mehr über Gott, als dass ich mit ihm sprach. Vielleicht hielt mich mein Geschreibe über das Gebet ab von einem Leben, das wirklich vo Gebet erfüllt war. (...) Vielleicht war ich dabei, langsam ein Gefangener dessen zu werden, was die Leute von mir erwarteten, statt ein Mensch, der durch die Verheißungen Gottes die Freiheit erlangt hat."
Nouwens Leben war eine Suche nach Gott. Zuerst suchte er ihn in der Theologie, dann im Kloster und schließlich in Südamerika. Aber er merkte, dass all seine intelektuellen, spirituellen und praktischen Bemühungen ihn nicht erfüllten. All diese Stationen dokumentierte er in seinem Büchern mit den ganzen Erlebnissen, Fragen und dem Frust über die anhaltende Leere. Diese authentische Suche hat mich mitgerissen und mir gezeigt, dass es gut ist, eine Suchende zu bleiben, sich nicht zufrieden zu geben mit dem Erreichten, egal wieviel Anerkennung es dafür gibt. Und Nouwen hat mir dadurch vermittelt: "Es geht nicht darum, wie viele Menschen ich zu Jesus gebracht habe, sondern wie treu ich Jesus in meinem Leben gewesen bin." Und das gerade weil er so oft selbst daran vorbeilebte.
Nouwen fand den Frieden, den er sein ganzes Leben lang gesucht hat, schließlich in der Gemeinschaft mit schwerst geistig und körperlich behinderten Menschen. Sie lehrten ihn, dass es sinnlos ist, vor sich selbst zu flüchten. Hier lernte er, echt zu sein, sich nicht zu verstellen. Hier lernte er zu leben.
Seine Konsequenzen als Theologe zog er, indem er, der selbst ein Meister der Worte war, das gesprochene/geschriebene Wort in den Hintergrund rücken ließ: "Die Arche (Anm.: die Gemeinschaft in der er selbst lebte) ist (...) nicht auf Worten aufgebaut, sondern auf dem Leib. (...) Füttern, waschen, berühren, festhalten - Worte kommen an zweiter Stelle. Die meisten behinderten Menschen haben nicht viel zu sagen, und viele reden überhaupt nicht. Die Körpersprache ist viel wichtiger. ‘Das Wort ist Fleisch geworden.’ Das ist der Kern der christlichen Botschaft." Auch das ist mir persönlich zum Leitsatz geworden.