Freitag, Oktober 13, 2006

Von der Herrschaft zur Gemeinschaft

"Wir haben demgegenüber begonnen, Gott im Bewusstsein seines Geistes um Christi willen als den dreieinigen Gott zu verstehen, der sich selbst die einzigartige und vollkommene Gemeinschaft des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes darstellt. Verstehen wir Gott nicht mehr auf monotheistische Weise als das eine, absolute Subjekt, sondern auf trinitarische Weise als die Einheit des Vaters, des Sohnes und des Geistes, dann können wir sein Verhältnis zur der von ihm geschaffenen Welt auch nicht mehr ale ein einseitiges Herrschaftsverhältnis auffassen, sondern müssen es als ein vielschichtiges und mehrstelliges Gemeinschaftsverhältnis verstehen. Dies ist der Grundgedanke der nicht-hierarchischen, dezentralisierten, genossenschaftlichen Theologie."

Jügen Moltmann, Gott in der Schöpfung

Kann man das noch schöner sagen? Ich glaube nicht!

Donnerstag, Oktober 12, 2006

Einander verstehen ?!

Die letzten Monate war Kommunikation ein ziemlich großes Thema für mich. Ich habe eine Arbeit über den Dialog geschrieben und war auch in meinem Leben oft mit den Grenzen meiner eigenen Kommunikationsfähigkeit konfrontiert.
Vor ein paar Tagen flatterete mir eine E-Mail ins Haus, die die Frage enthielt, in wie weit es überhaupt möglich ist, dass Menschen einander verstehen und trotz ihrer Unterschiede echte Gemeinschaft haben.
Nachdem ich beim Beantworten dieser Mail sehr viel nachgedacht habe, möchte ich meine Reaktion auf diese Frage hier einfach mal (leicht gekürzt) posten.
Hallo ...,
ok, das ist wirklich eine sehr philosophische Frage und sie beginnt sicher mit einer Definition davon, was "Verstehen" beinhalten kann und was nicht.
Ich gehe davon aus, dass Menschen auf Grund dessen, was sie erfahren und/oder für wahr halten ihre eigene, subjektive Wirklichkeit konstruieren. Dieses Konstrukt ist für den jeweiligen Konstrukteur immer "plausibel", d.h. es macht für ihn Sinn.
Wenn zwei Menschen sich begenen, dann tun sie das immer auf Grundlage der von ihnen konstruierten Wirklichkeit. Wenn sie nicht besonders reflektiert sind, dann halten sie ihre persönlichen Konstrukt für eine allgemeine Wahrheit, d.h. sie werden versuchen, den anderen davon zu überzeugen, dass ihr Konstrukt auch für ihn volle Gültigkeit hat.
Wie ich persönlich mehrfach erfahren habe, funktioniert das nicht besonders gut.
Mein Gegenüber wird anfangen mein Konstrukt abzuwehren besonders dann, wenn die Schnittmenge zwischen seiner und meiner Wirklichkeit sehr gering ist.
Der bisherige Lösung für dieser Tatsache war die Diskussion. D.h. man hat sich die verschiedenen Sichtweisen um die Ohren geworfen und zumeist hat entweder der Lauteste, oder der "Plausibelste", d.h. der, der am logischsten argumentieren konnte, das Streitgespräch gewonnen. Das ist natürlich kein Verstehen, wie ich es sehe.
Es geht auch nicht darum, dass ich zwischen den Annahmen meines Gegenübers und meinen Annahmen möglichst viele Gemeinsamkeiten finde und je größer diese gemeinsame Menge ist, desto besser verstehe ich ihn.
Für mich heißt "Verstehen", dass ich versuche die Konstruktion der Wirklichkeit des anderen nachzuvollziehen, ohne meine eigene Meinung zur Diskussion zu stellen. Ich lasse mich voll und ganz auf den anderen ein, erforsche seine Wirklichkeit wie einen fremden Planeten und bilde mir nicht ein, dass ich ihn bereits kenne nur weil er vielleicht ähnliche Schlagwörter benutzt, die auch ich gebrauchen würde, um meinen Planeten zu beschreiben. Ich lerne eine neue Welt kennen. Wenn ich dabei in mir spüre, wie meine eigene Welt anfängt zu rebellieren und versucht sich vor dem Fremden zu schützen, sage ich ihr, dass sie das jetzt nicht muss.
Ich versucht auch, die Ansichten des anderen nicht zu bewerten. Ich lasse sie stehen wie ein Forschungsobjekt. Ich respektiere den anderen als jemanden, der auf jeden Fall gute Gründe hat, seine Wirklichkeit so konstruiert zu haben und ich schätze sein Konstrukt als seinen Weg das Leben zu meistern (hier ist es für mich besonders schwierig, weil mein innerer Moralist gerne weiß, was besser wäre).
All das gründet in der Kunst wirklich jemanden "ZUHÖREN" zu können, jemanden oder einen Sachverhalt erst einmal wahrzunehmen, weil ich eigentlich nicht antworten muss. Ich muss verstehen, nicht bewerten, nicht recht haben, mich nicht verteidigen ...
Eine solche Form der Kommunikation nennt man nicht mehr Diskussion, sondern Dialog.
Ich glaube also, Verstehen hat mehr mit der Haltung zu tun, in der ich jemanden begegne, als damit, dass ich seine Argumente wirklich rational nachvollziehen kann. Wirkliches Verstehen ist eine tiefe Begegnung zwischen zwei Menschen, die jenseits aller Worte und Unterschiede liegt.
Und jetzt muss ich fast mit Paulus reden: ... nicht dass ich es schon ergriffen hätte, aber ich jage ihm nach und strecke mich danach aus.
Für mich liegt in dieser Form der Kommunikation etwas sehr Göttliches. So wenig ich Gott mit meinem Verstand fassen und beherrschen kann, so wenig kann ich das mit meinem Nächsten tun. Aber ich kann mich auf ihn einlassen, ihn erkunden und ihm so nahe sein.
Wenn man wirkliche Gemeinschaft haben möchte, dann kommt man da meiner Meiung nach nicht herum. Alles andere ist nur Toleranz. Aber die Bibel fordert uns leider nicht zur Toleranz auf, sondern zur Liebe - obwohl Toleranz manchmal schon mal ein guter Anfang wäre ;0)
Wir können in diesem Punkt wohl immer wieder unsere eigene Unfähigkeit, unsere Ichbezogenheit und unsere Liebesgrenzen erkennen und Gott um die Gnade bitten, wirklich seine Liebe so tief zu erfahren, d.h. ihm selbst so nahe kommen zu lassen, dass wir auch unserem Nächsten wirklich nahe sein können.

Liebe Grüße
Daggi
Ich habe bei mir selbst feststgestellt, dass dieses Einlassen auf jemanden, den ich im ersten Moment nicht verstehen kann, dessen Meinung ich vielleicht sogar ablehne, eine Entscheidung ist. Es passiert nicht "von selbst". Aber da, wo ich mich überwinde es doch zu tun, hat es mich gesegnet und es hat mich ermutigt, trotz allem eigenen Unvermögen, nach solchen Begegnungne zu suchen und zu üben, Menschen wirklich zu verstehen.