Ich glaube an die ... Kirche
Ich habe mich beim Lesen der Lektüre für meine zweite Ekklesiologiearbeit gefragt, warum ich innerlich nicht sachlich mit Gemeindemodellen umgehen kann, die von sich behaupten, die alleinige Antwort auf die spirituellen Bedürfnisse der Menschheit zu sein. Ich denke, die Lösung liegt in meiner Kichen-Geschichte. Ich bin sehr dankbar für die Kommentare, in denen mir Leute ihre Geschichte erzählen und, wenn es jemanden interessiert: Hier ist meine:
Als Kind einer protestantischen Mutter und eines katholischen Vaters in einem kleinen bayrischen Dorf, war die Frage nach der „wahren Kirche“ zu meinem Lebensthema geworden.Die Vertreter beider Konfessionen versuchten, mich jeweils auf ihre Seite zu ziehen. So besuchte ich die von Jesuiten gestaltete katholische Kinderstunde, ging sonntags hin und wieder mit meiner Großmutter zur Messe und zeitgleich war ich emsige Teilnehmerin des evangelischen Kindergottesdienstes. Nach meiner Konfirmation schlug ich mich ins protestantische Lager und fand dort auch zu einem persönlichen Ausdruck meiner Jesusbeziehung (evangelkale Geschwister nennen das "Bekehrung").
Allerdings musste ich schnell feststellen, dass innerhalb dieser Kirche fast genau so viele Streitigkeiten herrschten, wie zwischen den Konfessionen meines Elternhauses. Hier gab es evangelikale, liberale und charismatische Nachfolger Jesu, die sich gegenseitig heftigst ihren Glauben absprachen. Davon war ich zwar zunächst frustriert, entschied ich mich dann aber bald, bei dem Spiel einfach nicht mitzuspielen. Ich wurde Mitglied in einem evangelikalen CVJM, besuchte charismatische Gottesdienste und leistete meine freiwilliges soziales Jahr im liberalen evangelischen Jugendwerk. Allerdings kostete mich meine Politik eine Menge Energie. Nach meinem Umzug nach Nürnberg war mir bewusst, dass ich es leid war, alle meine Kraft in innerkirchliche Diskussionen zu stecken. Viele Menschen, mit denen ich am Beginn meines Studiums Freundschaften schloss, waren (bewusst) keine Christen und ich bemerkte, wie unglaubwürdig sich die Kirchen sich mit diesem internen Hickhack machten.
Durch den Kontakt zur Jesus Freaks Bewegung stand plötzlich die Möglichkeit im Raum, eine eigene Gemeinde zu gründen. Ich hatte das Gefühl, dadurch die Möglichkeit zu haben, mich um das zu kümmern, was Jesus am wichtigsten war, nämlich Menschen mit dem Evangelium zu erreichen. Ohne die Auflagen irgendwelcher Konfessionen konnte man das auch erst mal wunderbar tun. So entdeckte ich mit unserer neuentstehenden Jeus Freaks Gemeinde die Freiwilligen-Taufe, feierte Abendmahl, wie es für uns richtig schien, und versuchte die Priesterschaft aller Gläubigen aktiv zu leben.
Nach zehn Jahren, in denen ich mich durch die Jesus Freaks in Nürnberg hauptsächlich in der freikirchlichen Szene aufgehalten habe, zogen mein Mann und ich nach Lippe. Hier haben wir uns der evangelisch-reformierten Kirche angeschlossen.
Neulich im Gottesdienst fiel mir auf, dass ich jetzt bereits zum dritten Mal ein anderes Glaubensbekenntnis spreche. Ich habe mich zur „heiligen katholischen Kirche“, zur „christlichen Kirche“ und jetzt zur „allgemeinen christlichen Kirche“ bekannt. Aber meine Jesusbeziehung ist dadurch auch zu etwas geworden, was ich in allen Konfessionen und auf die unterschiedlichten Arten und Weisen leben kann.
Jeder Teil meiner eigenen „Kirchengeschichte“ ist mir wichtig und wertvoll. Die katholische Kirche hat mich Weite und Toleranz gelehrt, weil sie wie keine andere es schafft, so viel unterschiedliche Kulturen und Glaubensprägungen zu vereinen. Die protestantische Kirche hat mich gelehrt, dass es gut ist eine eigen Meinung zu haben und diese auch ohne Scheu zu vertreten. Die Freikirchen haben mich gelehrt, dass jeder gebraucht wird, um Gemeinde lebendig zu machen und zu gestalten. Ich liebe kirchliche Liturgien und ihre steife Festlichkeit genauso wie Punkmusik und ausgelassenes Tanzen bei der Anbetung. Ich lebe jetzt in kommunitären Strukturen, beschäftige mich mit Ordensregeln und klösterlichem Leben und besuche gleichzeitig den völlig schnörkellosen Gottesdienst einer evangelisch-reformierten Gemeinde, für die es weder einen Altar noch eine Präsenz Christi im Abendmahl gibt.
Neulich in der Predigt klärte uns unser Pastor über den Unterschied eines „guten Katholiken“ zu einem „guten Protestanten“ auf. Seiner Meinung nach hat der gute Protestant mindestens einmal in seinem Leben seine Kirche reformiert und der gute Katholik hat einmal in seinem Leben einen Orden gegründet. Jemand wie ich muss wohl dann einfach beides einmal gemacht haben.
Wenn ich mit meiner Geschichte eine Ekklesiologie-Arbeit schreibe, dann kann ich nicht zu einer „wahren Gestalt“ von Kirche kommen. Für mich hat jede ihren Reichtum und ihre Berechtigung. Dennoch sehe ich den Auftrag der Gemeinde darin, die ewige Botschaft der Hoffnung auf immer wieder neue Art in einer sich wandelnden Welt zu verkünden. Wichtig dabei ist es, zu wissen, dass man mit der neuen Form keine neue „Wahrheit“ gefunden hat.